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Geschichte des Wingolfsbundes


Ursprünge und Gründung des Wingolfsbundes

Einfluss auf die Entstehung des Wingolfsbundes hatten Pietismus und die Romantik, die im Gegensatz zum Rationalismus ein inniges Glaubensleben und ein Verständnis für die Geschichte des christlichen Glaubens erweckten. Aufgrund ihres christlichen Glaubens fühlten sich viele Studenten vom wüsten Treiben der Landsmannschaften und der Politisierung der Burschenschaften abgestoßen. Es entstanden daher studentische Gemeinschaften, welche äußerlich lose aber innerlich fest zusammengeschlossen waren. Diese traten in konkreter Form als Missions- oder Bibelkränzchen auf oder als gesellige Vereinigungen mit religiösem Einschlag. Diesen losen studentischen Vereinigungen entstammt der Wingolf, sprachwissenschaftlich lässt sich der Wingolf aus dem altnordischen Vingolfr z.dt. Freundeshalle herleiten. Der Ursprung des Wingolf liegt in Erlangen (1830), dort fanden sich einige Studenten zusammen, die im Gegensatz zum lockeren Treiben der damaligen Studentenschaft ein christliches Gemeinschaftsleben führen wollten. Die Ausrichtung ihres christlichen Lebens war dabei pietistisch. Die zahlreichen Treffen der Gemeinschaft mündeten in der Stiftung der Erlangener Uttenruthia im Jahr 1836. Aus der Uttenruthia zu Erlangen entstand 1850 der Wingolf und der Schwarzburgbund, wobei der Wingolf jene Studenten vereinte, die am christlichen Gemeinschaftsleben festhalten wollten. 1837 gründeten sich in Halle sogenannte Bibelkränzchen, aus denen 1844 der Hallenser Wingolf hervorging. 1841 gründete sich der Bonner und 1843 der Berliner Wingolf.

Die Gründungstreffen. Das erste Treffen der 4 Wingolfsverbindungen fand 1844 in Schleiz statt und wird heute als Schleizer Konzil benannt. Grund der Zusammenkunft war ein Erfahrungsaustausch. In Schleiz fanden Kneipen statt; entweder im engen Kreis oder mit Philistern (= Einwohner von Schleiz). Dort einigte man sich auf auf vier Grundsätze:

  1. Ein Mitglied ist in einem Bruderverein, wenn es will, eo ipso Mitglied
  2. Die Bruderverbindungen sollen sich mindestens alle drei Jahre treffen
  3. Zu den Stiftungsfesten sollen die Bruderverbindungen einander schreiben
  4. Am Anfang des Wintersemesters soll eine Zusammenfassung der Ereignisse des vergangenen Jahres verfasst und an die Bruderverbindungen geschickt werden.

Diese Beschlüsse stellten keine bindenden Beschlüsse dar, sondern galten als eine Verständigung über gegenseitige Ansichten.

Das erste Schwarzburger Konzil (1846) im Schwarzburger Hof bei Blankenburg in Thüringen diente der Verständigung über die überragende Rolle des Christlichen in den Wingolfsvereinen; aus diesem Grund wurden die Beziehungen zur Germania Bonn gelöst, die stark burschenschaftliche Tendenzen aufwies. Man beschloss zudem ab sofort alle zwei Jahre zusammenzukommen und ein eigenes Liederbuch auszuarbeiten.

Beim zweiten Schwarzburger Konzil (1848) bekannten sich die Vereine zum christlichen Prinzip und zu einer unpolitischen Ausrichtung; außerdem einigte man sich auf die Farben schwarz-weiß-gold. 1850 fand das erste Wartburgfest statt. Hier wurden die Vereinigungen der Wingolfsverbindungen satzungsgemäß geordnet und somit der Gesamtwingolf geschaffen. Man einigte sich hierbei auf sechs Grundprinzipien

  1. Der Wingolf ist ein christlicher Studentenverein.
  2. Die äußerliche Vereinigung der innerlich zusammengeschlossenen Verbindungen untereinander und mit ihren Philistern
  3. Die Ansätze zu einer Philisterorganisation
  4. Die Feststellung, dass der Austritt aus einer Verbindung gleichbedeutend mit dem Austritt aus dem Gesamtwingolf ist.
  5. Die Bestimmung eines Vororts (genannt Central-Postamt)
  6. Die Erklärung gegen das Duell.

1852 fand das zweite Wartburgfest statt, bei dem folgende Prinzipien formuliert wurden:

  1. Jeder Wingolfit verpflichtet sich, bei seinem Eintritt ins Philisterium jede Amts- und Wohnungsänderung seinem Wingolf anzuzeigen.
  2. Bei Universitätswechsel von Wingolfiten besteht Eintrittszwang in den Wingolf am neuen Universitätsort.
  3. Das Verbot, in eine andere Verbindung als den Wingolf einzutreten.

In den einzelnen Wingolfsverbindungen entwickelte sich in den folgenden Jahren stärkere Eigenständigkeit, weil die Prinzipien unterschiedlich gewichtet wurden. 1860 wird beim sechsten Wartburgfest aus dem Gesamtwingolf der Wingolfsbund gebildet; den einzelnen Wingolfsverbindungen wird zudem mehr Autonomie gewährt. Der Wingolfsbund sieht sich folglich als enger Zusammenschluss einzelner Verbindungen

Prinzipienstreitigkeiten

Erster Streit über das christliche Prinzip und die Autonomie der Wingolfsverbindungen

Von 1873 bis 1880 herrschte ein Streit über die Prinzipien des Wingolfsbundes, der dazu führte, dass sich der Wingolfsbund im Jahr 1877 auf Antrag von Leipzig auflöste. 1874 wurde der Leipziger Wingolfiten bekannt, dass einige Hallenser Wingolfiten die Gottheit Christi ablehnten, Leipzig jedoch forderte hingegen in seiner Auslegung des christlichen Prinzips das Bekenntnis zur Gottheit Christi verbindlich. Im Folgenden Meinungsaustausch kam der Leipziger Wingolf zu dem Ergebnis, dass er die Auffassung des Hallenser Wingolf als nicht wingolfitisch ansieht. Da im Bund keine Einigung über ein verbindliches und einheitliches christliches Prinzip erfolgte, wurde der Wingolfsbund 1877 aufgelöst. 1880 wurde beim 15. Wartburgfest der Wingolfsbund dann neu gegründet. Nun wurde jeder Wingolfsverbindung eigene Prinzipien zugestanden, solange diese mit den grundlegenden Werten des Wingolfbundes übereinstimmen, der Bund musste den Prinzipien der Ortsglieder jedoch zustimmen.

Die nationale Frage

Die zweite Prinzipienstreitigkeit hatte ihren Ursprung in einer Auseinandersetzung zwischen dem Marburger und dem Leipziger Wingolf. Ein in Marburg ausgetretener Philister wurde in Leipzig aufgenommen, woraufhin Marburg Leipzig aufforderte, gegen den betreffenden Philister einzuschreiten. Leipzig weigerte sich dies zu tun, woraufhin die Streitsache Bundesangelegenheit wurde. Dem Bund wurde dann auf dem nächsten Wartburgfest die Befugnis übertragen, in vorliegenden Streitfällen zu entscheiden; der Leipziger Wingolf erklärte daraufhin seinen Austritt aus dem Wingolfsbund. Der Austritt des Leipziger Wingolf wurde auf keinem Konvent in Leipzig beschlossen. Die Leipziger Aktivitas schloss hierbei folglich einige Inaktive vom Konvent und von der Abstimmung aus, weil diese gegen den Austritt Leipzigs waren. Diese Inaktiven gründeten die Vitebergia Leipzig und hofften vom Bund aufgenommen zu werden. Die Vitebergia war (im Vergleich zu den anderen Wingolfsverbindungen) stark nationalistisch ausgerichtet (Stichwort: Pflege echt deutschen Wesens, deutscher Zucht und Sitte). Im Folgenden wurde im Bund die Frage diskutiert, ob man deutsch-nationale Elemente in den Wingolfsbund aufnehmen sollte. Im Ergebnis löste sich der Wingolfsbund 1885 auf und gründete sich kurz darauf wieder neu. Im gleichen Jahr wurde der Leipziger Wingolf (Zusammenschluss von Leipziger Wingolf und Vitebergia Leipzig) wieder in den Wingolfsbund aufgenommen. Aus dem nationalen Streit wurde klar, dass die Pflege nationaler Gesinnung zwar nicht als eigenes Prinzip aufgenommen wird, jedoch mit dem übergeordneten Prinzip vereinbar ist.

Das Maturitätsprinzip

Zur Jahrhundertwende gründeten sich vermehrt Wingolfsverbindungen in Städten mit Technischen Hochschulen (z.B. Charlottenburg, Karlsruhe oder Darmstadt), die Studenten an den Technischen Hochschulen besaßen kein Reifezeugnis (Maturitätszeugnis). Es stellte sich also die Frage, ob auch Studenten ohne betreffenden Abschluss Mitglieder im Wingolfsbund sein können. Darmstadt und Charlottenburg wurden 1901 als vollberechtigte Mitglieder im Wingolfsbund aufgenommen.

Der zweite Streit über das christliche Prinzip und die Autonomie der Wingolfsverbindungen

Die vierte Streitigkeit (1901 – 1907) führte zu mehr Autonomie für die Ortsmitglieder. Leipzig legte dem Bund seine Prinzipienänderungen vor, welche von diesem genehmigt werden mussten (siehe erster Streit). Inhalt der Leipziger Prinzipienänderung, war folgender:  Da die liberale Theologie Boden gewann, wurde von den einzelnen Leipziger Wingolfiten nicht mehr zwingend gefordert, die Gottheit Christi anzuerkennen. Der Marburger Wingolf stimmte der Leipziger Prinzipienänderung zu, daraufhin wurde die dahingehende Kompetenz des Bundes überdacht und abgeschafft. Der Bund musste zukünftig Änderungen der Prinzipien der einzelnen Ortsglieder also nicht mehr zustimmen, sie mussten dem Bund lediglich gemeldet werden. Außerdem wurde der Aktivitätszwang abgeschafft. Jede Wingolfsverbindung konnte somit fortan ihre eigenen Prinzipien frei wählen, solange diese mit den Grundsätzen des Wingolfsbundes vereinbar sind (z.B. Ablehnung der Mensur); einer Zustimmung des Bundes bedurfte es nicht mehr. 

Das lange 20. Jahrhundert

Der Wingolfsbund im 20. Jahrhundert vor dem zweiten Weltkrieg

1901 wurde beim Wartburgfest der Verein Alter Wingolfiten (VAW) gegründet. Im ersten Weltkrieg kämpften verhältnismäßig wenige Wingolfiten, wobei ca. 20 Prozent der beteiligten Wingolfiten (ca. 3800) fielen. Während des ersten Weltkrieges (1917) lud der VAW zur Kriegstagung ein, auf welcher die Kriegsstiftung des Wingolf beschlossen wurde, um die verwundeten Wingolfiten und die Hinterbliebenen getöteter Wingolfiten zu unterstützen. Aufgrund des Aktivenmangels mussten sich mehrere Wingolfsverbindungen während des Krieges vertagen. Das Ende des Kaiserreiches und der verlorene Krieg wurde mit großer Wut, Trauer und Bestürzung aufgenommen. Aufgrund der Niederlage im ersten Weltkrieg kamen verstärkt nationale Bestrebungen im Wingolfsbund zum Vorschein, so zum Beispiel die Idee, sich neuerdings deutscher Wingolfsbund zu nennen. Viele Wingolfsverbindungen verankerten in ihren Satzungen stärkere vaterländische Bezüge. 1922 bildete sich das Erlangener Ehren- und Verbändeabkommen, welches nichtschlagenden Verbindungen durch ein Schiedsgericht Satisfaktionsfähigkeit verschaffte.

Der Drang zum Nationalen äußerte sich zunehmen in Leibesübungen, die ab 1931 zum sogenannten Wehrsport wurden, der von der Reichswehr unterstützt wurde. 1925 wurde die Bundesnadel als Zeichen der Geschlossenheit eingeführt. Nach dem Krieg gründete sich 1919 die deutsche Studentenschaft als Selbstverwaltungsorgan, in der die korporativen Dachverbände zusammengeschlossen waren. 1931 wurde ein neuer Vorstand der deutschen Studentenschaft gewählt, der Teil des NsDStB war. 1932 traten alle Vertreter der Verbände mit Ausnahme der Turnerschaften aus.

1933 kam es dann zur Machtergreifung der Nationalsozialisten. In den Wingolfsverbindungen sollte das Führerprinzip eingeführt werden, welchen von der Philisterschaft bejaht wurde, daraufhin wurde Phil. Rodenhauser zum Bundesführer ernannt. Es bildete sich ein Führerbeirat, der eine neue Bundesverfassung verabschiedete. Jede Aktivitas stand unter der Leitung eines Burschenführers, die Verbindung insgesamt unter dem Wingolfsführer. Die NsDStB und die Studentenorganisation der NSDAP wurden miteinander verbunden. Die Selbstständigkeit der Korporationen wurde aufgehoben, die Dachverbände wurden dem Reichsführer Stäbel (von der NsDStB) unterstellt. Am 08.07.1933 wurde an die Korporationen die Forderung gestellt, ihre Häuser in Stätten der Kameradschaftserziehung umzuwandeln und Nichtarier und jüdisch versippte auszuschließen (außerdem Freimaurer), woraufhin Phil. Rodenhauser einging. Es wurden insgesamt 16 Wingolfskameradschaften eröffnet. 1935 wurde eine gleichzeitige Mitgliedschaft in der HJ und Korporationen verboten. Man versuchte dem entgegenzuwirken, indem einige Wingolfsverbindungen sich auf Initiative Rodenhausers in christliche Arbeitskreise umwandelten. Die Kooperation mit den Nationalsozialisten sollte der Erhaltung des Wingolfsbundes dienen. In der Folge der Umwandlung der Verbindung und des Ausschlusses der Nichtarier traten deutlich mehr Wingolfiten aus Protest aus, als durch die Arierbestimmungen ausgeschlossen wurden. Am 24.02.1936löste sich der Wingolfsbund auf. 1938 lösten sich der VAW und die Bezirksverbände auf.

Der Wingolfsbund im 20. Jahrhundert nach dem zweiten Weltkrieg

Nach dem zweiten Weltkrieg kamen rasch Bestrebungen auf, den Wingolfsbund und den VAW wiederzugründen. 1946 gründete sich der Hohenheimer Wingolf als Fraternitas Academica neu. Danach gründeten sich der Göttinger Wingolf 1948 als Familia Academica nach Lizensierung durch die Aliierten neu, dabei diente der Name zur Identifizierung als studentische Korporation durch die Aliierten und zur Erkennbarkeit als nichtnationalistische Organisation (Fraternitas = Bruderschaft). Die Wiedergründung des Wingolfsbundes fand am 24.11.1948 statt. Auf dem 42. Wartburgfest 1949 in Eltville wurde der Entschluss gefasst, die aufgrund der Arierbestimmungen ausgeschlossenen Nichtarier und Freimaurer um Verzeihung zu bitten, diese wurde auch angenommen. Die folgenden Wartburgfeste fanden in verschiedenen westdeutschen Städten statt, da in Ostdeutschland keine Studentenverbindungen erwünscht waren.

           1950 gab sich der Wingolfsbund ein Bundesprinzip, was vorher nicht gelungen war: Die Mitglieder der einzelnen Wingolfsverbindungen bekennen sich ohne Rücksicht auf die Konfession zu Jesus Christus als ihren Herren und finden sich in einer darauf gegründeten Lebensgemeinschaft zusammen. Alle Verbindungen erkennen – über ihrem eigenen Prinzip – das Prinzip des Wingolfsbundes – Di Henos Panta an, das ernsthaftes Streben nach christlicher Lebenshaltung fordert. Die Wingolfsverbindungen als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft stehen auf dem historischen Boden einer studentischen Korporation.

Für die 14 Ortsverbindungen (u.a. in der DDR) übernahmen Westverbindungen in den Fünfzigerjahren Patenschaften, so z.B. Kiel für Leipzig. In den folgenden Jahrzehnten mussten sich einige Verbindungen aufgrund von Mitgliedermangel nach der 68er-Bewegung vertagen, der Großteil konnte jedoch wieder gegründet werden. 1969 und 1970 beschlossen der Göttinger und der Hannoversche Wingolf, Frauen aufzunehmen. 1972 wurde in den Bielefelder Erklärungen beschlossen, dass der Wingolfsbund ein Männerbund bleibt; die aufgenommenen Bundesschwestern hätten somit kein Mitspracherecht in Bundesangelegenheiten und kein Eintrittsrecht in Bruderverbindungen bei Hochschulwechsel. 1975 wurde ein hochschulpolitisches Grundsatzprogramm verabschiedet, das sich gegen die Ideologie totalitärer, verfassungsfeindlicher Gruppen richtete. Demnach steht der Wingolfsbund hinter der parlamentarischen Demokratie, wobei er sich keiner Partei zuordnet. Seine Mitglieder sollen ermutigt sein, sich hochschulpolitisch zu engagieren und sich für die rechtsstaatlichen Grundsätze einzusetzen. 

Vom 14.-17.07.1991 fand das erste Wartburgfest nach der Wiedervereinigung in Eisenach statt. Nach der Wende gründeten sich viele Ostverbindungen neu, zuerst in Jena (1990). Die Ottonia Magdeburg wurde 1994 in den Wingolfsbund aufgenommen, nachdem sie ab 1991 in einem Gastverhältnis zum Wingolfsbund stand. 1995/96 machten sich nationalistische Tendenzen in der Ottonia Magdeburg bemerkbar, weshalb ihre Aufnahme in den Wingolfsbund auf dem VC 1995 neu verhandelt wurde. 1996 feierte Jena einen Reichsgründungskommers, auf dem rechtsradikale Lieder gesungen wurden, woraufhin die verantwortlichen Bundesbrüder ausgeschlossen wurden. Diese wurden von der Ottonia Magdeburg aufgenommen. Im Folgenden wurde der Ausschluss der Ottonia Magdeburg beantragt, die Ottonia kam diesen Ausschluss allerdings zuvor und vertagte sich. 2003 wurde das restaurierte Wingolfsdenkmal in Eisenach wieder eingeweiht.

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